Dieses Bedürfnis nach spontanem Umsetzen hat Michael Ball zur Terracotta gebracht. Ursprünglich hatte er mit verschiedenen Materialien gearbeitet, vor allem mit der verlorenen Form und dem Guß. Aber die hier notwendigen Wartezeiten hat er als Störung des künstlerischen Flusses empfunden. Sein Lehrmeister Paolozzi hatte in seinen Arbeiten andere Herangehensweisen an Räumlichkeit. Michael Ball mußte hier erst seinen Weg finden und er war nicht besonders zufrieden mit den ersten Arbeiten. Zudem war es erforderlich, sich zunächst von der Aufbautechnik weg und einer modifizierten Plattentechnik zuzuwenden. Doch dann bildete sich immer deutlicher ein ganz klarer figürlicher Charakter heraus. Zu den Figuren sagt er: "Sie werden immer so". Was bedeutet, dass die Arbeiten wirklich authentisch sind, nicht aufgesetzt, sondern echt und "geboren". Damit haben sie, und das ist eine Erkenntnis, die mir lange Erfahrung mit Kunstbetrachtung eingebracht hat, eine gewisse Allgemeingültigkeit in sich.
Michael Ball hat von jeher ein Gleichgewicht gesucht und einen engen Zusammenhang eingehalten zwischen der plastischen und der zeichnerischen Arbeit. Das heißt, wir finden in seinen Zeichnungen genau die gleiche menschliche Figur. Es ist eine Art Torso, eine Reduktion auf die gut geerdete Leibsubstanz. Häufig sind breite Beinansätze da, die wirken als seien sie über Wurzeln tief mit dem Untergrund verbunden. Kräftig steht der Rumpf da, wehrhaft. Mit diesem "wehrhaft" habe ich die Brücke zur zweiten Realität dieser Arbeiten gefunden. Denn die massive Erdung, wie sie immer auch die Figuren alter Kulturen hatten - für die sich Michael Ball sehr interessiert - wird ergänzt durch Gegenpole nicht physischer, sondern geistiger Art. Zum einen die Helme und Visiere auf den Köpfen oder, in jüngeren Arbeiten, auch die helmartig verformten Schädel. Der Helm schützt, der Mensch dahinter kann aber dennoch hinaussehen. C.G. Jung hat unser Alltagsego, die Maske, hinter dem wir uns verstecken, die Persona genannt, nach dem lateinischen "personnare", hindurchsprechen. Wir können uns erklären, mit Worten und der Stimme. Aber der andere sieht uns nicht wirklich. Bei einem Teil der Arbeiten sind selbst die Leiber wie durch Harnische geschützt. Seltsamerweise nicht grobklotzige, sondern spielerische Panzer. Bei einem wiederum anderen Teil der Figuren hat im Kopfbereich eine Verwandlung in Richtung auf die Chimäre begonnen. Assoziationen an Tierschädel oder an Naturgeister stellen sich ein.
Eine Öffnung und Verlebendigung geht damit einher. Die Maske beginnt zu fallen. Der Mensch als vielgestaltiges Geschöpf dieser Erde darf sich zunehmend zeigen. Vereinzelt hat Michael Ball sogar bereits mehrteilige Figuren geschaffen, innerhalb deren ein Dialog stattfindet.
Ein ins Auge fallendes Charakteristikum vieler Figuren ist deren Armhaltung. Sie sind, und hier kommt endgültig auch eine spirituelle Komponente herein, tatsächlich Adoranten. Diese Armhaltungen können auf mehrfache Weise gedeutet werden. Sie drücken Bitte und Dank an die Götter oder an Gott aus. Die Geste der erhobenen Arme kann jedoch auch bedeuten, dass ein Mensch friedlich, also waffenlos, kommt oder dass er sich ergibt, indem er seine Waffenlosigkeit zeigt. Interessant ist, dass Krishna tausend Arme hat, um alles Nötige auf dieser Erde zu tun, während Buddha stets mit untätig herabhängenden Armen - Loslassen ist die Devise - zu sehen ist.
In den Zeichnungen, wo sich leichter als mit Material Neues erproben läßt, hat sich die Öffnung schon früher angedeutet. In den mit sehr lockerer Hand gezeichneten Skizzen ist der Mittelpunkt immer eine stabile, geerdete Grundfigur - Ball sagt, er spürt sogar, ob sie gut stehen kann - , die vervollkommnet wird durch eine manchmal sogar fließende und sehr dynamische Bewegung, die nach außen und oben strebt, eine Geste vibrierender Energie. Hier drückt sich wiederum die jenseitige Realität aus.
Der moderne Mensch braucht Schutz, versteht noch nicht (wieder) allzu viel von der jenseitigen Realität und kann sich auf Götter nicht mehr unbedingt verlassen. Obwohl er, wie im Fall eines Teils der Figuren, die Hände anhebt. Zu Anbetung, Dank oder Abwehr, wer weiß es.
Ingrid Zimmermann
Februar 2001